Der deltoideopektorale Schulterzugang stellt das „working horse“ der Zugänge in der Schulterchirurgie dar. Über diesen Zugang können eine Vielzahl der offenen, schulterchirurgischen Prozeduren realisiert werden.
Zielstrukturen und IndikationenÜber den deltoideopektoralen Zugang können verschiedene anatomische Strukturen erreicht und dargestellt werden:
Knöcherne Strukturen:
Klavikula/Akromioklavikulargelenk (ACG),
Korakoid,
Akromion,
Humeruskopf und Humerusschaft,
ventrales Glenoid mit Labrum glenoidale.
Weichteilige Strukturen:
M. pectoralis major mit Ansatz,
deltoideopektorales Intervall (Mohrenheim-Grube),
„conjoined tendons“,
M. pectoralis minor
Rotatorenmanschette (anterosuperior),
Rotatorenintervall + lange Bizepssehne.
Der Zugang ermöglicht eine sichere Darstellung des Humeruskopfes und des ventralen Glenoids – essenziell für offene Stabilisierungseingriffe wie den Korakoidtransfer nach Latarjet oder die Beckenkammplastik nach Resch [2, 21]. Der Zugang erlaubt die Versorgung von Frakturen des ventralen Glenoids und des Humeruskopfes oder -schafts [19]. In Abhängigkeit von der Lokalisation und Ausdehnung der Fraktur kann die Länge des Zugangs bis zum distalen Humerus erweitert werden.
Für Tumorresektionen im Bereich der Schulter ist der deltoideopektorale Zugang geeignet [18]. Darüber hinaus sind offene Rotatorenmanschettenrekonstruktionen, insbesondere Nähte des Subskapularissehne, durchführbar [14]. Es besteht die Möglichkeit, Sehnentransfers, wie beispielsweise den Transfer des M. pectoralis major oder minor, durchzuführen [15, 16]. Darüber hinaus ist dieser Zugang der Standard in der primären endoprothetischen Versorgungen, sowohl für Total‑, Hemi- sowie inverse Prothesen [10]. Auch Revisionseingriffe nach vorangegangener endoprothetischer oder osteosynthetischer Versorgung sind über den Zugang zu realisieren [17].
LagerungDer operative Eingriff wird in der Regel in Beach-chair-Position durchgeführt, alternativ – je nach Indikation – in einer Oberkörperhochlagerung. Der betroffene Arm wird steril abgedeckt und entweder beweglich auf einem Unterarmbeistelltisch oder in einem dynamischen Armhalter fixiert (Abb. 1).
Abb. 1Lagerung des Patienten in Beach-chair-Position mit Lagerung des Armes in einem dynamischem Armhalter (eigenes Bild)
Diese Positionierung ermöglicht durch gezielte Bewegungen im Glenohumeralgelenk eine optimale Darstellung des Humeruskopfes und der angrenzenden Rotatorenmanschette. Für eine verbesserte Sicht auf das Glenoid kann der Humeruskopf zusätzlich (sub)luxierend manipuliert werden.
Landmarken und SchnittführungWichtige knöcherne Landmarken, die vor dem Hautschnitt palpiert und eingezeichnet (Abb. 2) werden sollten sind:
Klavikula mit ACG,
Korakoid (Processus coracoideus),
Akromion mit Vorder- und Hinterkante,
Epicondylus humeri lateralis.
Abb. 2Einzeichnen des Akromions, der lateralen Klavikula, des Korakoids und der Schnittführung (©Springer-Verlag GmbH Deutschland aus [12])
Der Hautschnitt für den deltoideopektoralen Zugang weist je nach Art des Eingriffs unterschiedliche Verlaufsformen und Längen auf, folgt jedoch grundsätzlich bestimmten Charakteristika. In der Regel handelt es sich um einen geraden Hautschnitt, der zwischen dem Unterrand des ACG und lateral des Korakoids ansetzt und in Richtung des Epicondylus humeri lateralis verläuft.
Die Länge der Hautinzision richtet sich nach der zugrundeliegenden Pathologie, den Weichteilverhältnissen und der Ausbildung, Erfahrungen und Vorlieben der Chirurg:innen. Entscheidend ist, dass alle für den Eingriff relevanten Strukturen jederzeit sicher visualisiert und kontrolliert werden können. Für eine ventrale Schulterstabilisierung genügt meist eine kurze Inzision; prothetische Eingriffe oder komplexe Revisionen erfordern eine entsprechend längere Erweiterung nach distal. Bei ergänzenden Maßnahmen – etwa einer subpektoralen Tenodese der langen Bizepssehne – reicht hingegen ein kurzer horizontaler Hautschnitt am Unterrand der Pektoralissehne aus.
PräparationDas Intervall des deltoideopektoralen Zugangs befindet sich zwischen dem M. deltoideus und M. pectoralis major.
Anschließend erfolgt eine Subkutanpräparation bis zur Faszie des M. deltoideus. Nun wird die V. cephalica im proximalen Bereich des deltoideopektoralen Intervalls, auch bekannt als Mohrenheim-Grube, aufgesucht. In der Regel ist diese Vene von Fettgewebe umgeben, das als Orientierung dienen kann (Abb. 3).
Abb. 3Die V. cephalica im deltoideopektoralen Intervall als Zielstruktur der oberflächlichen Präparation (eigenes Bild)
Die V. cephalica wird bevorzugt nach lateral retrahiert, um die lateralen venösen Zuflüsse aus dem M. deltoideus zu schonen und eine Durchtrennung zu vermeiden.
Die weitere Präparation erfolgt durch vorsichtiges, stumpfes Verdrängen des Gewebes im Bereich zwischen dem M. pectoralis major und dem M. deltoideus, bis die klavipektorale Faszie erreicht ist.
Nach der oberflächlichen Präparation erfolgt die Eröffnung der klavipektoralen Faszie am lateralen Rand der „conjoined tendons“ (M. coracobrachialis, Caput breve des M. biceps brachii). Der M. deltoideus wird hierbei typischerweise mittels Roux-Haken nach lateral und die „conjoined tendons“ mittels Langenbeck- oder Zenker-Haken nach medial retrahiert. Anschließend ist ggf. eine sparsame Entfernung der (der Rotatorenmanschette aufliegenden) Bursa subdeltoidea notwendig. Eine zentrale Orientierung bietet der Sulcus bicipitalis mit der langen Bizepssehne. Medial hiervon findet sich das Tuberculum minus, welches den Ansatz des M. subscapularis bildet; lateral findet man das Tuberculum majus, welches die Ansatzstellen von M. supraspinatus und M. infraspinatus aufweist. Die Außenrotation des Arms ermöglicht in der Regel die vollständige Darstellung der Sehne des M. subscapularis.
Die Gelenkkapsel wird über eine Längsspaltung der Sehne des M. subscapularis im Faserverlauf erreicht, wobei diese etwa 5 cm medial des Ansatzes erfolgt. Bei Bedarf – beispielsweise bei endoprothetischen Eingriffen – kann der Muskel im muskulotendinösen Übergang nach arretierender Nahtführung tangential durchtrennt werden, wobei ausreichend Sehnengewebe zur Refixation verbleiben muss.
Die Inzision erfolgt kaudal bis zur Darstellung der A. circumflexa humeri anterior und ihrer Begleitvenen („three sisters“). Im Falle des Belassens einiger Muskelfasern in der Kaudalregion wird ein ausreichender Abstand zum N. axillaris gewährleistet, welcher am Unterrand des M. subscapularis in die Achsellücke hineinführt.
Der N. musculocutaneus wird auf der Unterseite der kurzen Beuger nach medial gehalten, während sein Eintritt in den M. coracobrachialis ca. 6 cm distal des Korakoids liegt.
Weitere Möglichkeiten des Zugangs zum glenohumeralen Gelenk stellen die Osteotomie des Tuberculum minus und der subskapularisschonende Zugang durch das Rotatorenintervall dar.
Bei Bedarf kann der obere Anteil des M. pectoralis major zur besseren Übersicht eingekerbt werden (1–2 cm). Im Rahmen von Revisionen oder bei komplexen Frakturen kann zur Mobilisation auch ein Release des anterosuperioren Deltaansatzes unter Schonung der Faszie durchgeführt werden.
Bei der Erweiterung des deltoideopektoralen Zugangs nach distal bis zum Epicondylus lateralis humeri sollte zunächst der N. radialis lateral des Humerusschafts ca. 12,6 cm oberhalb der Epicondylus lateralis humeri aufgesucht werden [9]. Er wird zwischen M. brachialis (medial abgehoben) und M. brachioradialis dargestellt (Abb. 4).
Abb. 4a Einzeichnen des erweiterten deloideopektoralen Zugangs. b Eröffnung des Situs und Darstellung des N. radialis (gelb) lateral des Humerus oberhalb des Epicondylus lateralis humer zwischen M. brachialis und M. brachioradialis (eigene Bilder)
Risiken und Tipps aus der PraxisEin ausreichender Abstand zur Achselfalte sollte eingehalten werden, um störende Narbensträngen zu vermeiden. Diese können postoperativ das Bewegungsausmaß limitieren oder Schmerzen verursachen. Im Rahmen der Präparation ist die V. cephalica mitsamt ihrer lateralen Zuflüsse konsequent zu schonen, um Blutungen zu vermeiden.
Der Plexus brachialis verläuft medial des Processus coracoideus. Eingriffe in diesem Bereich sollten nur bei zwingender Indikation und ausschließlich durch erfahrene Chirurg:innen vorgenommen werden, um iatrogene Nervenschäden zu verhindern. Es ist von großer Wichtigkeit, den N. axillaris vor zu großen Manipulationen oder Verletzungen zu bewahren. Der Nerv befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Unterrand des M. subscapularis. Schließlich ist bei einer distal gerichteten Erweiterung des Zugangs größte Vorsicht geboten, um eine Kompromittierung des N. radialis zu vermeiden [7].
Um eine optimale anatomische Orientierung zu gewährleisten und eine präzise Platzierung des Zugangs zu ermöglichen, wird die vorausgehende Markierung knöcherner Landmarken mit einem sterilen Hautstift dringend empfohlen. Dies erleichtert die intraoperative Zuordnung zu den relevanten Strukturen und verbessert die Orientierung während des Eingriffs.
Während der Subkutanpräparation fungiert das Fettgewebe um die V. cephalica als Landmarke. Die nachfolgende Präparation im deltoideopektoralen Intervall zwischen dem M. pectoralis major und dem M. deltoideus sollte stumpf erfolgen, um die umliegenden Strukturen zu schonen.
Bei Revisionseingriffen kann das deltoideopektorale Intervall aufgrund von Narbenbildung schwer erkennbar sein. In solchen Fällen ist eine vorsichtige scharfe Präparation oder der Einsatz der Diathermie zur Eröffnung der Narbenstraße erforderlich.
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