Das Stepped-Care-Modell für Insomnie im Kindes- und Jugendalter in Deutschland

Ein Stepped-Care-Modell für Kinder und Jugendliche mit Schlafproblemen sollte die verschiedenen Altersgruppen berücksichtigen.

Perinatalperiode, Säuglings- und Kleinkindalter

Die erste Lebensstation eines Menschen liegt noch vor der Geburt. Eine gute vorgeburtliche Beratung über den gesunden Babyschlaf hilft den werdenden Müttern, mit der neuen und herausfordernden Situation nach der Geburt ihres Kindes sicher und kompetent umzugehen. In dieser Lebensphase sind alle Professionen, die die Schwangere begleiten, gefragt und sollten involviert werden (Gynäkologie, Geburtsvorbereitung, Hebammen, Neonatologie etc.).

Auch nach der Geburt ist eine kompetente Beratung wichtig, vor allem, wenn der Säugling Schwierigkeiten mit der Eigenregulation zeigt Hier wäre die Säuglingsberatung zu nennen. Beteiligte Fachkräfte sind Neonatolog*innen, Pädiater*innen, Stillberater*innen, Hebammen und Pflegekräfte, welche die Mütter und das Kind nach der Geburt betreuen.

Schlafprobleme werden häufig von Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern berichtet. Von diesen sind insbesondere Risikokinder wie beispielsweise ehemals Frühgeborene, Säuglinge mit neonatalem Entzugssyndrom oder angeborenen Herzfehlern betroffen [3]. Das Vollbild einer Insomnie tritt nicht selten auf. Schwierigkeiten beim „limit-setting“, also Grenzsetzungsprobleme oder auch Probleme beim Einschlafen werden von Experten häufig genannt in dieser Phase. Hier sind beispielsweise neben den oben genannten Gruppen auch Erzieher*innen, welche Krabbelgruppen betreuen, Nachsorgeeinrichtungen wie sozialpädiatrische Zentren, Frühe Hilfen oder Familienhebammen gefragt.

Vorschul- und Grundschulalter

Im Vorschulalter zeigen sich viele Störungsbilder mit entsprechenden umfassenden Auswirkungen. Die Kinder sind häufig irritierbar oder emotional dysbalanciert. Bei dieser Altersgruppe sind pädagogische Fachkräfte bzw. Erzieher*innen am meisten gefordert. Frühe Hilfen, Frühförderstellen, Familienberatungsstellen etc. sind oftmals Ansprechpartner bei Problemen.

Im Grundschulalter kommen weitere Fachpersonen in das Feld dazu. Die Lehrkräfte sind oftmals mit Themen wie Insomnie bzw. Schlafmangel, psychischer Belastung, Medienkonsum etc. konfrontiert. Die schulpsychologischen Beratungsstellen sollten dringlichst hinsichtlich der Auswirkungen von Schlafmangel und Insomnie auf aggressives Verhalten, emotionale Dysbalance sowie schulische Leistungsfähigkeit umfassend informiert werden.

Jugendalter und Spätadoleszenz

Im Jugendalter kommen andere Themen mit ins Spiel. Jugendliche erleben eine umfassende körperliche Veränderung, die meist auch einen Shift des Chronotyps mit sich bringt; der Rhythmus der Jugendlichen schiebt sich in die spätere Abend- bzw. Nachtzeit. Die meisten Jugendlichen sind unter der Woche unausgeschlafen und müde und können sich gerade am frühen Morgen schlecht konzentrieren [6]. Auch für dieses Alter ist es sinnvoll, die Lehrkräfte bezüglich der Schlafveränderungen zu informieren und über mögliche Interventionen aufzuklären. Unterrichtsstoff hinsichtlich des Schlafs für die Grundschule und weiterführende Klassen sollte altersgemäß aufbereitet werden und Schlaf als etwas Wichtiges und Kostbares dargestellt und in die Gesundheitserziehung bzw. in den Biologieunterricht integriert werden. Hier sollten auch Jugendgruppenleiter*innen und Jugendliche selbst als Peer-Coaches miteinbezogen werden.

In der Spätadoleszenz verändert sich der Schlaf wieder. Die große hormonelle Umstellung wird abgeschlossen und meist eine Ausbildung oder ein Studium begonnen. Studierende schlafen oftmals schlecht, haben unregelmäßige Rhythmen und unterschiedliche Stressbelastungen durch die Semesterkonzeption. Oftmals existiert ein Nebeneinander von Arbeitskontext und sozialen Verpflichtungen oder auch einer speziellen Wohnsituation (Wohnheim, WG), was in einer solchen Kombination schlafraubend sein kann [29]. Eine Insomnie in dieser Lebensphase kann zu schlechteren Ausbildungs- und Studienleistungen führen und daher sind diese Themen ein wichtiges Potenzial für Ausbildungsinstitute und Studierendenberatungsstellen, um den Studierenden adäquate Hilfe zu ermöglichen.

Nachfolgend werden einige Abschnitte des Stepped-Care-Modells für die Insomnie im Kindes- und Jugendalter (SCM-KJ, englisch SCM-CA) weiter ausdifferenziert. Hierbei ist vor allem die begleitende Diagnostik essenziell. In einem weiteren Abschnitt werden Verbesserungsmöglichkeiten bzw. Entwicklungsmöglichkeiten, welche dem Modell innewohnen, dargestellt und mögliche weitere Schritte der Verbesserung der Versorgungsstruktur vorgeschlagen (Abb. 1).

Abb. 1figure 1

Stepped-Care-Modell für Insomnie im Kindes- und Jugendalter (SCM-KJ, englisch SCM-CA). (Das Modell wurde im Rahmen der Jahrestagung der DGSM 2023 vorgestellt. Wichtig ist vor allem auch die diagnostische Kompetenz und diagnostische Basis, auf der die einzelnen Präventions- und Interventionsmaßnahmen dann aufbauen können)

Prävention und niederschwellige AngeboteInformationen, Broschüren etc.

Zwar wissen Eltern oft viel zum Thema Kinderschlaf, so beantworteten beispielsweise in einer Studie knapp 70 % der Eltern die Fragen zum Kinderschlaf richtig. Aber Eltern, deren Kind unter Schlafschwierigkeiten litt, beantworteten signifikant weniger Fragen richtig und gaben bei mehr Fragen an, die Antwort nicht zu wissen, als Eltern, deren Kind keine Schlafschwierigkeiten hatte [17]. Solche Ergebnisse zeigen den Informations- und Aufklärungsbedarf für die Eltern. Insbesondere der Transfer theoretischen schlafbezogenen Wissens hin zum elterlichen Erziehungsverhalten scheint von Bedeutung zu sein. Das bedeutet für die Zukunft, dass die Informationen für die Eltern mit deutlichen Handlungsbeschreibungen und ggf. auch Fallvignetten verknüpft sein sollten. Informationen für Jugendliche an Schulen sollten altersgerecht formuliert und auch in einem altersgerechten Format (z. B. Podcasts) verteilt werden. Für die Studierenden sollten die besonderen Bedingungen (Semester, WG, Nebenjob) berücksichtigt werden.

Schlaf-Apps

Viele Eltern benutzen Schlaf-Apps als Einschlafhilfe für ihre jungen Kinder [35]. Die meisten Kinderschlaf-Apps sind jedoch nur Geräusche, Melodien oder Lieder. Schlafedukation oder gar Schlafhilfen bzw. adäquate Ratschläge gibt es äußerst selten, zudem wird bei vielen nicht angegeben, für welches Alter sie geeignet sind [35]. Es sollten in diesem Bereich mehr Apps entwickelt und bereitgestellt werden, die altersorientierte Hilfen bieten.

Kinderbücher zum Thema Schlaf

In einer Studie über Kinderbücher mit „Schlaf“ im Titel wurde die dargestellte Schlafthematik überprüft. Von den 608 gefundenen Kinderbüchern wurden mehr als 100 genauer untersucht [36]. Es zeigte sich, dass die schlafspezifischen Aspekte sowie Informationen zum Schlaf und Lösungsstrategien für Schlafprobleme wie Ein- und Durchschlafprobleme unzureichend oder gar falsch beschrieben werden. Daher sollten möglichst interdisziplinäre Kooperationen von Schlafexpert*innen mit interessierten und geeigneten Autor*innen oder Illustrator*innen entstehen, um schlafspezifisches Wissen umsetzen zu können. Wie die Autor*innen anmerken, wird „die Möglichkeit, durch Kinderbücher präventiv wirksame Methoden“ zu implementieren „nicht ausreichend genutzt“ [36].

Ratgeber zum Thema Schlaf, Schlafbücher

Für die vielen Ratgeber und Bücher zum Thema Kinderschlaf gilt, dass einige auf wissenschaftliche oder fundierte Quellen gänzlich verzichten, andere nur wenige wissenschaftliche Studien oder ähnliche Quellen implementieren. Eine Untersuchung ergab, dass von 31 grob analysierten und schließlich sechs im Detail untersuchten Büchern nur für einen einzigen Ratgeber eine positive Empfehlung abgeben werden konnte, von zwei Büchern jedoch abgeraten werden musste [16]. Wie sich zeigte, ist auch für derartige Literatur eine wissenschaftliche Adäquatheit notwendig und sollte sich auch in der Ratgeberliteratur niederschlagen. Beispielsweise wäre eine intensive Betreuung durch Fachpersonen einer Fachgesellschaft wie der DGSM eine Möglichkeit, diese Qualität zu verbessern.

Frühe Intervention und TherapieDifferenzialdiagnostische Kenntnisse für den Kinder- und Jugendbereich dringend notwendig

Wie unterschiedliche Publikationen aufzeigen, sind differenzialdiagnostische Kenntnisse auch bzw. gerade für das Kindes- und Jugendalter besonders wichtig und leider in der Realität oft verbesserungswürdig. So konnte beispielsweise eine Studie bei Pädiater*innen zeigen, dass als Intervention das Führen eines Schlaftagebuchs genannt wurde, ansonsten jedoch wenig differenzialdiagnostische Empfehlungen gegeben, sondern eher Medikamente oder pflanzliche Arzneien empfohlen wurden [34]. Eine Studie aus Australien zeigte, dass das Gesundheitspersonal nicht einmal die Hälfte der Fragen zu Schlafwissen korrekt beantworten konnte [12, 13, 25] Da die Kinder- und Jugendärzt*innen aber die ersten Ansprechpersonen für die Familien sind und die Kinder regelmäßig zu den Vorsorgeuntersuchungen sehen, ist das Wissen über den gesunden Kinderschlaf und seine Störfaktoren an dieser Stelle besonders wichtig.

Therapeutische Schlafgeschichten – „sleep-oriented bedtime stories“

Die Konstruktion von therapeutischen Schlafgeschichten kann als Element der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT, englisch CBT) im Kindesalter gesehen werden. Durch eine solche therapeutische Geschichte wird ein typisches Schlafproblem des Kindes oder Jugendlichen formuliert und es werden Lösungsmöglichkeiten anhand eines Modells aufgezeigt. Typische Kognitionen, Emotionen oder auch Ängste werden dabei aufgenommen und gespiegelt. Lösungsansätze werden altersgerecht dargestellt und entsprechend anhand von Copingmodellen verdeutlicht. Eine Pilotstudie ergab, dass solche therapeutischen Geschichten von KVT-geschulten Personen erkannt werden können, während bei den durch KI generierten Geschichten spezifische Elemente vermisst wurden [33]. Dieser Weg sollte dringlichst weiterverfolgt und beforscht werden, da er eine große Unterstützung in der Umsetzung von niedrigschwelligen Hilfen darstellen kann.

Schlafcoaches überall

Für die Bezeichnung „Schlafcoach“ ist bislang keine Ausbildung notwendig. Eine Studie in den USA ergab, dass 44,1 % der Schlafcoaches angaben, keine Hochschulausbildung zu haben, 24,5 % hatten einen Bachelorabschluss und 22,5 % einen Masterabschluss. Ebenso gaben die meisten (53,9 %) an, keine Erfahrung im Gesundheits- oder Bildungswesen zu haben, aber 15,7 % arbeiteten im Bildungswesen, 5,9 % als Krankenschwestern, 5,9 % als Psychologen, nur jeweils 1 % als Kinderkrankenschwestern, Physiotherapeuten, Schlaftechniker und Ärzte [14]. Die Autorengruppe stellte sich bereits 2015 Fragen der Notwendigkeit von Ausbildung und Zertifizierung von Schlafcoaches zur Qualitätssicherung sowie zur Grenzbereichsbestimmung, ab wann die Schlafprobleme eines Kindes die Dienste fortgeschrittener Praktiker*innen, wie z. B. Spezialist*innen für verhaltensorientierte Therapie oder Schlafmediziner*innen, erfordern. Besonders thematisieren die Autoren auch die Frage, ob die gegenwärtigen Schlafcoaches ausreichend ausgebildet sind, um zu erkennen, wann eine Weiterleitung an eine Fachstelle angebracht ist [14]. Für die deutsche pädiatrische Versorgungslandschaft gab es bislang noch keine Überprüfung dessen. Eine jüngst initiierte Studie zur Profilüberprüfung von Schlafcoaches ergab, dass 25,5 % dieser Coaches für das Kindes- und Jugendalter über einen medizinischen oder psychologischen beruflichen Hintergrund verfügten, 7,3 % über einen gesundheitsorientierten Hintergrund, und 23,5 % in einem pädagogischen oder bildungsbasierten Beruf eine Ausbildung absolviert hatten [33]. Diagnostische und auch differenzialdiagnostische Kenntnisse sind auch in diesem Bereich mehr als sinnvoll bzw. höchst notwendig, die jedoch anscheinend leider nur die wenigsten der Kinder-Schlafcoaches im deutschsprachigen Raum besaßen bzw. angaben. In Zukunft sollten umfassende Überlegungen hinsichtlich der Ausbildung und Begleitung dieser Kohorte initiiert werden.

Onlineangebote

Wie bei allen Präventions- und Interventionsansätzen für Insomnie im Kindesalter sind die jeweiligen Altersgruppen zu berücksichtigen, damit das Material und die Vorgehensweise altersgerecht gestaltet werden. Studien zu CBT‑I für Kinder im Onlineformat ergaben, dass diese ähnlich wirksam wie Face-to-face-Interventionen sind [4, 32]. Jedoch ist bei dieser Form der Intervention bzw. Inanspruchnahme auch immer die Abbrecher‑/Drop-out-Rate zu bedenken. Meist zeigen Face-to-face-Interventionen eine geringere Drop-out-Rate auf als nur online durchgeführte Interventionen. Telefonische Kontakte können hinsichtlich der Compliance hilfreich sein [4, 32].

Strukturierte Gruppenprogramme

Im deutschen Sprachraum wurden diverse strukturierte Behandlungs- und auch Gruppenprogramme für die Insomnie des Kindes- und Jugendalters entwickelt. Für die jungen Kinder bis vier Jahre existiert das Mini-KiSS-Training [30], für Grundschulkinder mit Insomnie und auch Alpträume das KiSS-Training [31] und für Jugendliche ab 11 Jahren das JuSt-Programm [27]. Von einer Kölner Arbeitsgruppe wurde ebenfalls ein Manual konzipiert [10], dessen umfassende Evaluation jedoch noch aussteht.

Einzeltherapien

Ähnlich wie bei den Erwachsenen sind Einzeltherapien vor allem dann angebracht, wenn entsprechende Komorbiditäten vorliegen oder die Familienkonstellation oder die therapeutische Situation eine solche Intervention nahelegt. Studien zur Durchführung von Einzel- vs. Gruppeninterventionen bei Insomnien im Kindesalter zeigen in der Regel keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Wirksamkeit [44]. Weitere Überprüfungen stehen jedoch noch aus.

CBT-I in der Ausbildung zum Kinder- und Jugendtherapeuten

Die Behandlung von Schlafstörungen sowie differenzialdiagnostische Entscheidungen werden weder im medizinischen noch im psychotherapeutischen Studium adäquat mit differenzialdiagnostischen Aspekten als Thema entsprechend dargestellt und reflektiert. In der psychotherapeutischen Weiterbildung wird das Thema Insomnien bzw. Schlafstörungen meist in einem, max. zwei Tagen (max. 16 Unterrichtseinheiten) für alle Altersgruppen behandelt. Differenzialdiagnosen zu Schlafstörungen, Komorbiditäten oder die differenzialdiagnostische Abgrenzung von Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitäts-Störungen (ADHS und ADS) zu Schlafstörungen werden wenig oder nicht thematisiert.

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