Künstlerische Darstellung von Anfallssemiologie – ein besonderes Gemälde

„Die Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen; darum scheint es eine Torheit, sie wieder durch Worte vermitteln zu wollen. Doch indem wir uns dahin bemühen, findet sich für den Verstand so mancher Gewinn, der dem ausübenden Vermögen auch wieder zu Gute kommt.“ (Goethe, zitiert in [12])

Dieses Zitat von Goethe bringt in grandioser Weise zum Ausdruck, was Kunst zu leisten imstande ist und dass es sich auch lohnen kann, über Kunst ins Gespräch zu kommen. Dies spiegelt sich hier archetypisch wieder im Entschluss und der Ausführung der Künstlerin, das gezeigte Bild zu malen, es zu beschreiben und zu erläutern, es dem behandelnden Arzt zu zeigen und darüber zu sprechen. Der künstlerische Akt war für beide Seiten hilfreich. Eine besondere Herausforderung lag vor, da verbale Möglichkeiten in Wort oder Schrift an ihre Grenzen stießen, und dieses Phänomen ist gerade bei der Epilepsie nicht selten bzw. charakteristisch [28]. Schließlich ging es um Subjektives, das es galt, klarer zu verstehen. Gerade Auren sind oft schwer zu beschreiben [9, 11, 28].

Es ist faszinierend zu sehen, dass es möglich ist, z. B. auf diese Weise das Unaussprechliche erfahrbar zu machen. So zeigt das Bild eindrücklich die Vielschichtigkeit der Aura-Erfahrung, die hier – wie nicht selten bei TLE – multimodal und multidimensional ist.

Keine verbale Abstraktion (z. B. „sensorischer Anfall“) und Kategorisierung („bewusst erlebter Anfall“) hätten dies vermocht (vgl. [11, 25]). Es mag ein seltener Zufall sein, dass eine Epilepsiepatientin überaus künstlerisch begabt ist oder eine Malerin ausgerechnet eine fokale Epilepsie dieses Gepräges hat. Ihre Geschichte zeigt aber auf, dass der Weg der künstlerischen Darstellung wertvoll ist und in mehrfacher Hinsicht Wirkung entfaltet: so z. B. in der Rückwirkung auf sie selbst, die die Schwerbeschreiblichkeit oft als belastend empfand und für die es so greifbarer wurde, in der Wirkung auf den behandelnden Neurologen, indem ein klareres Verständnis des Erlebens gelang, und in der Wirkung auf die Arzt-Patienten-Beziehung.

Dass künstlerische Darstellungen von Epilepsiepatienten ein großes Potenzial haben, zeigt sich u. a. darin, dass es Steven C. Schachter (Boston, USA; ehem. chief editor von Epilepsy & Behavior [E&B]) einst gelang, viele hundert Bilder von Patientinnen und Patienten zu erhalten und zu einer großartigen Ausstellung zusammenzustellen, die viel Beachtung fand [22, 30]. Er interessierte sich als führender Epileptologe früh für diese Thematik und brachte über Jahre viele der Kunstwerke auf das Cover von E&B. Darstellungen von Anfällen und Epilepsie in der Malerei sind schon vielfach betrachtet worden [3, 8]. Malerei und Bilder von Künstlerinnen und Künstlern mit Epilepsie wissenschaftlich eingehender zu betrachten steckt noch in den Anfängen. Bevor darauf eingegangen wird, welche Ansätze es hierzu gibt, soll zunächst eine Parallele gezogen werden zu Ansätzen und Studien auf anderem Gebiet, namentlich der sprachlichen Darstellung, schriftlich wie mündlich. Der Blick fällt hier auf Literatur/Belletristik einerseits [29] und auf sprachliche Zeugnisse von Patienten andererseits [20]. In einigen Arbeiten wird klar, dass es interessante, systematische und diagnostisch nutzbare Eigenheiten gibt in der Sprechweise, der semantischen Textur, der Bildsprache und weiteren Aspekten von Menschen mit Anfällen [13, 21, 26, 27], woraus sich einiges ablesen lässt, so z. B., ob es sich um epileptische oder nicht-epileptische Anfälle handelt [13, 15, 21]. Eine tiefe Betrachtung sprachanalytischer Arbeiten ist nicht der Gegenstand unseres Berichtes, der die Malerei am Beispiel eines bemerkenswerten Bildes in den Fokus stellt, gerade wegen der sprachlichen Schwerbeschreiblichkeit bei der Künstlerin. Da die Schwerbeschreiblichkeit der Semiologie ein Charakteristikum vieler Anfälle ist [9, 11], v. a. der „Auren“, sind jegliche Ansätze, die diese überwindlicher machen, grundsätzlich interessant.

Es gibt einige Überlegungen und Ansätze zu Epilepsie und bildender Kunst [14, 16] inklusive Kunst als potenzieller Ausdrucksform für die Anfallssemiologie, das Befinden der Patienten, deren Sicht auf ihr Leben mit der Epilepsie [2, 6, 18], sei es nun in Malerei, Skulptur oder anderen Techniken [4]. Besonders bei Kindern und Jugendlichen haben sich kunsttherapeutische Ansätze bei Epilepsie schon als hilfreich erwiesen [1, 22,23,24]. Es wäre vorstellbar, dass man – ähnlich den sprachanalytischen Ansätzen bei Epilepsie [20, 21, 26] – aus künstlerischen Darstellungen weitergehende systematische Erkenntnisse über die zugrunde liegende Epilepsie, die betroffene Person und deren Situation ziehen kann [7, 12].

Auch wenn in der Epileptologie tätige Fachleute gebeten werden, Epilepsie künstlerisch darzustellen, ergeben sich sehr interessante Aspekte, nicht nur in den Kunstwerken selbst, sondern auch durch die Reflexion darüber [5]. Vielfach wurden in der Vergangenheit bis heute v. a. künstlerische Werke betrachtet, in denen nicht selbst von Epilepsie betroffene Künstler ihre Darstellung des Anfalls und/oder der Erkrankung ausgestalteten [3, 8, 10]. Dies ist kultur- und geistesgeschichtlich natürlich ein reichhaltiger Fundus, der viel Auskunft gibt über die Sicht auf die Epilepsie durch die Jahrhunderte. Der künstlerische Akt von Menschen mit Epilepsie selbst hat aber eine weitergehende Dimension [16, 19], die Unterschiede zwischen ihren Werken zu solchen von Menschen ohne Epilepsie erscheinen markant [12]. Es scheint außer Zweifel, dass Neurologie und Neurowissenschaft hier vieles lernen können [17].

In jedem Fall lohnt der faszinierte Blick auf die Kunstwerke! Wir ermuntern Sie, sich etwas Zeit zu nehmen, um das hier gezeigte Bild in Ruhe zu betrachten, wie auch die zahlreichen weiteren Werke in den gegebenen Referenzen, um sich der subjektiven und künstlerischen Sphäre des Phänomens Epilepsie einmal anders zu nähern.

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