Das RLS ist eine klinische Diagnose und wird durch Erfüllen der Kriterien der IRLSSG gestellt. Bei Anwendung im Kindes- und Jugendalter muss auf eine altersentsprechende Äußerung der Missempfindungen durch den/die pädiatrische/n Patient/in geachtet werden [22]. Die Diagnosestellung ist in dieser Patientengruppe durch entwicklungs- und altersspezifische Unterschiede und Einflussfaktoren erschwert und führt zu einer verspäteten Therapie.
Ziel dieser Studie waren die Analyse und Bewertung von Instrumenten zur Diagnostik eine RLS im Kindes- und Jugendalter. Aus den Ergebnissen, der klinischen Erfahrung der Autor/innen und der Literatur wurde ein Algorithmus zur Diagnosestellung und Therapieentscheidung entwickelt (Abb. 3). Bei uneindeutiger klinischer Diagnose erscheint eine schrittweise Diagnostik über einen Screeningfragebogen, gefolgt von einem standardisierten Interview und schließlich einer PSG dabei sinnvoll. Der Fragebogen ermöglicht gemeinsam mit dem/der pädiatrischen Patient/in und einem Elternteil noch vor ärztlichem Kontakt eine einheitliche, fokussierte Anamnese. Es kann eine orientierende Aussage über das mögliche Vorliegen eines RLS getroffen werden. Die Anamneseerhebung durch eine/n Expert/in im direkten Patientenkontakt muss auf eine altersentsprechende Symptombeschreibung, Fremdanamnese und Abgrenzung zu Differenzialdiagnosen eingehen. Die PSG kann zusätzlich unter Umständen ein PLMS als unterstützendes Diagnosekriterium erfassen, ist für die alleinige Diagnosestellung jedoch nicht zwingend gefordert. Zusätzlich können polysomnographisch die Schlafarchitektur und Differenzialdiagnosen bewertet werden.
Abb. 3Algorithmus zur Diagnostik und Therapie des Restless-Legs-Syndroms (RLS) bei Kindern und Jugendlichen
Mittels Fragebogen kann durch Bildung des Index-Scores ein mögliches RLS ermittelt werden. Bei Erfüllen der IRLSSG-Diagnosekriterien zeigten sich die Punktewerte höher (10,9 ± 6,8; KI 10,0–11,8) als bei Nichterfüllen der Kriterien (−9,8 ± 2,2; KI −10,0 bis −9,6). In der Pilotstudie erreichten Patient/innen mit eindeutig diagnostiziertem RLS einen RLS-Index-Score von 18,8 ± 4 Punkten [26]. Allerdings ist das eindeutige Vorliegen eines RLS nur mittels Screening durch den Fragebogen nicht abschließend zu ermitteln. Die Differenzialdiagnosen im Kindes- und Jugendalter, wie u. a. Wachstumsschmerzen, ADHS, Periodic Limp Movement Disorder (PLMD), Restless Sleep Disorder (RSD) oder Muskelkrämpfe, manifestieren sich ebenfalls durch Beschwerden in den Beinen [22]. Eine sichere Abgrenzung der sich ähnlich präsentierenden Symptomatik gelingt durch den Fragebogen nicht zuverlässig. Es bedarf weiterer zielgerichteter Anamneseerhebung und funktioneller Diagnostik. Dies spiegelt sich auch in der Beantwortung der Diagnosekriterien wider. Die Einstiegsfrage nach Bewegungsdrang in den Beinen in Ruhe wird vermehrt positiv beantwortet, ohne dass die weiteren Kriterien erfüllt sind. Die offene Fragestellung bietet weitläufigen Interpretationsspielraum und grenzt nicht eindeutig von einem RLS ab. Auch in der Literatur ist diese Problematik beschrieben und zeigt den Bedarf weiterer Diagnoseinstrumente zur Differenzierung [5, 9, 16].
Um auf die unterschiedliche klinische Ausprägung bei pädiatrischen Patient/innen einzugehen, bietet der Fragebogen eine breite Antwortmöglichkeit (Tab. 3). Dies limitiert jedoch die eindeutige Diagnosestellung. In der vorliegenden Studie erfüllten nur 0,4 % (n = 4) Proband/innen alle Diagnosekriterien eindeutig (Antwortoption „ja“).
Untersuchungen haben gezeigt, dass Kinder (> 6 Jahren) zur Beschreibung ihrer Symptome altersentsprechende Formulierungen nutzen sowie diese vermehrt ausdrücken, wenn sie geeignete Gelegenheiten und Aufforderungen erhalten [21, 22]. Mittels Fragebogen erfolgten eine altersentsprechende Informationsvermittlung und Aufforderung zur Beschreibung der Beschwerden. Dies kann bereits vor ärztlichem Kontakt gemeinsam mit einem Elternteil ermöglicht werden, wenn der Verdacht auf das Vorliegen eines RLS besteht. Bei jedoch fehlendem Krankheitsverständnis kann es zu einer falsch-positiven Beantwortung der Zielfragen kommen.
Neben der strukturierten Erfragung der Diagnosekriterien erfolgt durch den Fragebogen auch eine Bewertung des Leidensdrucks und der in der Literatur beschriebenen Auswirkungen der Symptomatik wie Einschlafstörungen, Tagesmüdigkeit, Konzentrationsstörungen und schlechter schulischer Leistungen [4, 20, 24, 28, 30].
Die Anamnese (in der Studie in Form eines Telefoninterviews) in der Folge eines positiven Screeningfragebogens kann ein mögliches RLS durch eine strukturierte Befragung der Beschwerden und des Leidensdruck weiter untersuchen. Mit gezielten Fragen und altersentsprechenden Formulierungen ist auf die individuelle Symptomausprägung einzugehen. Eine Abgrenzung von Differenzialdiagnosen, welche mit Missempfindungen und Bewegungsdrang in den Beinen einhergehen, konnte zum größten Teil eindeutig erfolgen.
Patienten, welche eine wahrscheinliche bzw. unklare Diagnose durch das Interview erhielten, hatten einen höheren RLS-Index als ausgeschlossene Proband/innen. Allerdings konnte durch das Interview keine abschließende Diagnose gestellt werden. Gründe hierfür waren die uneindeutige Ausprägung der Symptomatik, fehlender bzw. geringer Leidensdruck und fehlendes Krankheitsverständnis. Bedingt durch das Studiendesign wurden die Teilnehmenden befragt, welche einen auffälligen Fragebogen aufwiesen, diesen jedoch ohne klinischen Verdacht ausgefüllt hatten. Im Rahmen der Gespräche erfolgte daher eine umfassende Aufklärung zur Symptomatik, Diagnostik und Therapie des RLS.
Empfehlenswert ist eine zielgerichtete, strukturierte Anamneseführung im persönlichen direkten Kontakt mit dem/r Patient/in und im jüngeren Kindesalter zusätzlich einem Elternteil. Bei Unklarheiten kann eine klinische Verlaufsbeobachtung und die wiederholte Beurteilung des Leidensdrucks erfolgen.
Eine abschließende PSG kann zur Erhebung weiterer unterstützender Kriterien für das Vorliegen eines RLS sowie differenzialdiagnostische Abgrenzungen erfolgen. Die IRLSSG beschreibt als objektives Kriterium im Kindes- und Jugendalter einen PLMS-Index > 5/Stunde [22]. Untersuchungen bei nachgewiesenem RLS zeigen einen auffälligen PLMS-Index [18, 19, 23, 24]. In der Studie bot sich ein inhomogenes Bild der PLMS (Abb. 2). Es zeigte sich keine Häufung des PLMS-Index bezogen auf den RLS-Index-Score. Dies unterstreicht, dass ein erhöhter PLMS-Index die Diagnosestellung eines RLS unterstützen kann, jedoch nicht vorliegen muss [22]. Es zeigten sich keine Hinweise für das Vorliegen einer PLMD oder RSD. Bei allen Proband/innen ergab die PSG das Bild einer physiologischen Atmung im Schlaf und einer altersentsprechenden Schlafarchitektur, vor allem keine Verschlechterung durch einen erhöhten PLMS-Arousal-Index. Diese zusätzlichen Informationen können für die Interpretation der Auswirkung der Symptome und dem damit verbunden Leidensdruck unterstützend sein. Zur Vermeidung des in der Literatur beschriebenen „First-night-Effekt“ sollte die Untersuchung über 2 Nächte stattfinden, sodass sich der/die Proband/in an die Schlafbedingungen gewöhnen kann [11]. In den Studienergebnissen zeigte sich kein eindeutiger Unterschied in den aufeinanderfolgenden Nächten. Die Akzeptanz einer Schlaflaboruntersuchung verbunden mit einem klinischen Aufenthalt in der Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen sowie bei den Eltern war in der Kohorte niedrig. Von den empfohlenen 60 Schlaflaboruntersuchungen wurden nur 15 Untersuchungen durchgeführt. Diese Einschränkungen lassen sich durch einen gering ausgeprägten Leidensdruck, fehlendes Krankheitsverständnis und die COVID-19-Pandemie im Untersuchungszeitraum erklären. Faktoren für eine Verfälschung des PSG-Ergebnisses, bedingt durch zum Beispiel eine veränderte Schlafumgebung sowie die fehlende Akzeptanz bzw. Compliance der Untersuchung im Kindes- und Jugendalter sind zu beachten.
Die PSG kann bei erhöhtem klinischem Verdacht und positiver Familienanamnese bezüglich PLMS oder PLMD zur Evaluierung des Leidensdrucks sowie zur Abgrenzung schlafbezogener Krankheitsbilder durchgeführt werden. Bei einer eindeutigen anamnestischen und klinischen Diagnosestellung ist eine PSG jedoch nicht zwingend erforderlich.
Algorithmus zur Diagnostik und TherapieIn der Studie erfolgte die Anwendung und Bewertung von den Diagnosewerkzeugen Fragebogen, Anamnese und PSG. Die Bewertung dieser Instrumente zeigt die Komplexität und erschwerte Anwendbarkeit in der pädiatrischen Altersgruppe. Eine eindeutige Diagnosestellung und Häufigkeitsanalyse des RLS im Kindes- und Jugendalter ist durch das Studiendesign nicht möglich.
Basierend auf den Ergebnissen der Studie, klinischer Erfahrung der Autor/innen und der Literatur wird ein Algorithmus zur Diagnostik und Therapie des RLS im Kindes- und Jugendalter vorgeschlagen (Abb. 3).
Der Algorithmus basiert auf einer aufeinander aufbauenden Stufendiagnostik, auf den eine anschließende Therapieempfehlung folgt. Bei Verdacht auf das Vorliegen eines RLS sollte eine umfassende Anamnese mit dem Jugendlichen bzw. Kind und einem Elternteil erfolgen. Der Fokus liegt auf den Diagnosekriterien der IRLSSG, unterstützenden Nebenkriterien und dem manifesten Leidensdruck [10, 15, 22]. Es ist essenziell, dass der/die Patient/in in die Symptombeschreibung aktiv miteinbezogen und auf eine altersentsprechende Formulierung durch den Untersucher geachtet wird. Ebenso sollte zur Bewertung der unterstützenden Nebenkriterien eine ausführliche Familienanamnese erfolgen. Die Ausprägung des Leidensdrucks, bedingt durch Veränderungen des Schlaf- und Sozialverhaltens sowie der schulischen Leistungen, ist essenziell für eine spätere, mögliche medikamentöse Therapieentscheidung. Bei Verdacht auf ein RLS kann der Einsatz eines Fragebogens die Symptomatik nach einem Anamnesegespräch bestätigen. Bei Unklarheiten empfiehlt es sich, Befragung und Untersuchung im Verlauf zu wiederholen. Der Fragebogen kann auch vor dem ersten ärztlichen Kontakt zur Gewinnung von Informationen für ein persönliches Gespräch genutzt werden. Aktuell existieren nur wenige für das Kindes- bzw. Jugendalter validierte Fragebögen [27]. Es wird empfohlen, den Fragebogen „Bewegungen im Schlaf bei Kindern und Jugendlichen“ (deutsche Version), welcher in der Pilotstudie validiert und der Hauptstudie angewandt wurde, zu verwenden. Alternativen für das Kindes- und Jugendalter sind die Fragebögen „Single question for RLS“ (multilinguale Versionen; [13]), „Pediatric Emory RLS diagnostic questionnaire“ (englische Version; [25]), „The Restless Legs Syndrome Questionnaire (RLSQ)“ (englische Version; [12]). Zur Beurteilung von Symptomen am Tag sowie in der Nacht sollte ein Schlaf-Wach-Protokoll geführt werden. Bei Auffälligkeiten kann eine PSG über 2 Nächte weitere Informationen über die Schlafqualität liefern und zur Abgrenzung schlafbezogener Atmungs- und Bewegungsstörungen sowie zur Erhebung eines PLMS-Index genutzt werden. Das Vorliegen einer Störung im Eisenstoffwechsel wird als mögliche Ursache der Pathophysiologie des RLS angenommen [14, 24]. Es sollte eine Analyse des Eisenhaushalts (Serumeisen, Ferritin, Transferrin, löslicher Transferrin-Rezeptor) vor Beginn einer medikamentösen Therapie erfolgen [1]. Mögliche Differenzialdiagnosen (u. a. ADHS, Wachstumsschmerzen, PLMD, RDS, Zerrungen, Dermatitis, familiäre Schmerzsyndrome) müssen anamnestisch, klinisch und durch erweiterte Funktionsdiagnostik ausgeschlossen werden [2].
Wenn die Diagnosekriterien für ein RLS erfüllt sind und ein ausgeprägter Leidensdruck vorliegt, sollten Patient/innen und Eltern über Therapieoptionen beraten werden. Zunächst sind nichtmedikamentöse Verfahren (Aufklärung zum Krankheitsbild, Schlafhygiene, Meidung potenziell auslösender Substanzen, körperliche Aktivität, Massagen) auszuschöpfen. Bei ausbleibender Besserung kann eine Off-label-use-Therapie mit einer oralen (bzw. intravenösen) Eisensubstitution begonnen werden, mit dem Ziel ein Serumferritin > 50 (75) µg/l zu erreichen [1, 15]. In Fällen mit fehlendem Ansprechen auf eine Eisentherapie bzw. ausgeprägtem Leidensdruck kann eine Off-label-use-Therapie mit dopaminergen Medikamenten durch eine/n Experten/in erwogen werden. Bei Nichterfüllen der Diagnosekriterien sollten weitere Differenzialdiagnosen abgegrenzt und Diagnoseschritte wiederholt werden. Bei uneindeutiger Diagnose, jedoch Symptompersistenz und erhöhtem Leidensdruck können nichtmedikamentöse Verfahren bzw. eine Off-label-use-Therapie mit oralem Eisen erwogen werden.
Es ist darauf hinzuweisen, dass nur Bestandteile (Fragebogen, Anamnese, PSG) des empfohlenen Algorithmus durch das Studiendesign bewertet wurden. Der vollständige Algorithmus, als Ergebnis, beruht auf der klinischen Erfahrung der Autor/innen und Empfehlungen aus der Literatur. In zukünftigen Studien sollte eine Bewertung des vollständigen Algorithmus im Vergleich zu anderen Diagnoseschritten erfolgen.
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